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Rückkehr der Ontologie¶
Rückkehr der Ontologie, Universität Bamberg
Ein Archivsystem muss nicht nur verschiedene Typen von Dokumenten verwalten, sondern vor allem unterschiedliche Nutzergruppen bedienen. Das wurde während der Erprobungsphase des Systems bei der Dombauhütte Passau und der Bamberger Restaurierungswissenschaft sehr deutlich. Die Nutzer des Archivs bilden verschiedenen Informationsgemeinschaften (information communities), die durch Gemeinsamkeiten der Informationsverarbeitung, sei es auf der technischen, kognitiven oder sozialen Ebene charakterisiert sind. So können beispielsweise Mitarbeiter mit derselben Ausbildung oder Träger einer bestimmten Funktion in einer Organisation eine Informationsgemeinschaft bilden. Für die Gestaltung von Anwendungssystemen sind Informationsgemeinschaften von Bedeutung, weil sie häufig radikal verschiedene Sichten auf denselben Gegenstand einnehmen. Ein Mitarbeiter der Dombauhütte sieht im Passauer Dom anderes als ein Doktorand der Restaurierungswissenschaft und der wieder anderes als ein Kunsthistoriker. Sie sehen nicht nur Verschiedenes, sondern sie benennen es auch anders. Informationsgemeinschaften entwickeln eigene Konzeptualisierungen des Gegenstandsbereichs, was sich in eigenen Fachterminologien niederschlägt. Semantische Suche muss diese vielfältigen Begriffssysteme berücksichtigen. Das geschieht durch eine informatische Modellierung der Fachterminologien, die sich der gleichen logischen Hilfsmittel bedient wie die Metadatenbeschreibung, nämlich Beschreibungslogiken (description logics). Dadurch kann das Archivsystem Dokumente verwalten, deren Metadaten in den Fachterminologien verschiedener Informationsgemeinschaften verfasst sind. Es ist ein weiteres Kennzeichen der Semantic-Web-Technologien, den Informationsaustausch über terminologische Grenzen hinweg mit Hilfe von Methoden der Logik zu unterstützen. Aus Anwendersicht tut sich hier eine interessante Alternative zu Bestrebungen der Vereinheitlichung und Standardisierung von Fachterminologien auf. In der chaotischen Welt des World Wide Web liegt der Gedanke an eine einheitliche Fachsprache ebenso fern wie die Annahme, dass alle Nutzer mit derselben Software arbeiten. Wichtig ist nur, dass sich verschiedene Informationssysteme austauschen können, dass sie, wie man auch sagt, interoperabel sind. Das Ziel der Interoperabilität, technisch präziser, der semantischen Interoperabiltät dürfte für die transdisziplinär arbeitenden Kulturwissenschaften letztlich attraktiver sein als das der Standardisierung.
Die Semantic-Web-Technologien haben ihre Wurzeln nicht nur in der mathematischen sondern auch in der philosophischen Logik. Eine mit logischen Mitteln beschriebenen Fachterminologie wird in der Informatik mit dem traditionsreichen Begriff „Ontologie“ bezeichnet. Es handelt sich hier nicht um einen terminologischen Zufall. Die informatische Aneignung des Begriffs hat sich vielmehr unter Mitwirkung von Philosophen vollzogen. Geprägt wurde das informatische Verständnis von Ontologie durch das Forschungsprogramm der Wissensrepräsentation, das in der Tradition der analytischen Philosophie von Willard Van Orman Quine steht, welcher die ontologischen Verpflichtungen einer wissenschaftlichen Theorie an den verwendeten formalsprachlichen Mitteln festmacht. Blickt man hinter Quine zurück, dann tritt als Anknüpfungspunkt zur europäischen philosophischen Tradition das auf, was Herbert Schnädelbach als „phänomenologische Neubegründung von Ontologie“ entlang einer „Reihe österreichischer Bahnstationen (Bolzano, Brentano, Meinong, Husserl)“ beschrieben hat. Eine ausführlichere Würdigung der philosophischen Vorgeschichte der Semantic-Web-Technologien würde belegen, dass es sich bei Philosophie und Informatik um verschiedene aber seit längerem interoperabel arbeitende Informationsgemeinschaften handelt.